Gericht | BGH | Aktenzeichen | IX ZB 89/06 | Datum | 05.02.2009 |
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Leitsatz | |||||
Antrag auf Vollstreckungsklausel für ein ausländisches Urteil, das die Stellung einer Sicherheit für einen Anspruch aus einem Schiedsspruch anordnet Auf einstweilige Maßnahmen staatlicher Gericht, die der Sicherung von materiell-rechtlichen Ansprüchen dienen, findet das EuGVÜ oder die EuGVVO Anwendung, auch wenn über den Bestand dieser Ansprüche in der Hauptsache in einem schiedsrichterlichen Verfahren zu entscheiden ist. (Amtl. Ls.) | |||||
Rechtsvorschriften | Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 EuGVÜ Art. 1 Abs. 2 d EuGVVO, Art. 66 EuGVVO, Art. 68 EuGVVO § 15 AVAG, § 16 AVAG § 574 ZPO | ||||
Fundstelle | SchiedsVZ 2009, 174 | ||||
Aktenzeichen der Vorinstanz | OLG München, Beschl. v. 10.5.06 - 25 W 884/06 | ||||
Stichworte | sonstige Gerichtsverfahren: - Verfahrensgegenstand, Rechtsbeschwerde gegen Entscheidungen Vollstreckungsverfahren: - Erteilung der Vollsteckungsklausel; - vorläufige Sicherungsvollstreckung des Schiedsspruchs | ||||
Volltext | |||||
B E S C H L U S S Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. Mai 2006 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 784.565 € festgesetzt. G r ü n d e: [1] I. Mit Urteil der Arrondissementsrechtsbank te Rotterdam vom 4. Oktober 2001 (Aktenzeichen: 125645/KG ZA 99-1313) wurde die Antragsgegnerin verurteilt, innerhalb von zwei Werktagen nach Zustellung dieses Urteils als Sicherheit für die Bezahlung der Forderung der Antragstellerin, wie diese im Endurteil des Schiedsgerichts vom 1. Oktober 1993 festgesetzt worden ist, die jedoch am 27. September 2001 NLG 730.211,52 beträgt, von einer gut beleumundeten niederländischen Bank eine Bankgarantie in dieser Höhe zu leisten. Verbunden war dies mit der Androhung eines an die Klägerin zu zahlenden Zwangsgeldes in Höhe von NLG 5.000 für jeden Tag, den die Beklagte damit in Verzug ist, und zwar bis zu einem Betrag von maximal NLG 1 Million. Die Antragsgegnerin wurde weiter verurteilt, die Kosten dieses summarischen Verfahrens zu tragen, die auf Seiten der Klägerin mit NLG 587,35 an Auslagen und mit NLG 3.000 an Honorar für die Prozessbevollmächtigten veranschlagt wurden. [2] Auf Antrag der Rechtsbeschwerdeführerin hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts angeordnet, dass das Urteil mit der Vollstreckungsklausel zu versehen ist. [3] Auf die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht den Beschluss des Landgerichts aufgehoben und den Antrag auf Vollstreckbarerklärung zurückgewiesen. [4] Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Antrag auf Vollstreckbarerklärung weiter. [5] II. Das gemäß § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist zulässig, § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil die Entscheidung des Beschwerdegerichts von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abweicht. Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, § 15 Abs. 2 und 3, § 16 AVAG, § 575 Abs. 2 bis 4 ZPO. [6] Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist auf die beantragte Vollstreckbarerklärung das Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) anwendbar. [7] 1. Das Beschwerdegericht hat zutreffend gesehen, dass sich die Möglichkeit der Vollstreckbarerklärung des Urteils des Rotterdamer Gerichts, das vom 4. Oktober 2001 stammt, nicht nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen - im Folgenden: EuGVVO - vom 22. Dezember 2000 (Amtsblatt EG 2001 Nr. L 12 S. 1) richtet. Diese Verordnung ist gemäß ihrem Art. 76 erst am 1. März 2002 in Kraft getreten. Gemäß Art. 66, 68 EuGVVO ist deshalb auf den Streitfall das zuvor geltende EuGVÜ anzuwenden. [8] 2. Das Beschwerdegericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, dass nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 EuGVÜ dieses Abkommen für den vorliegenden Fall nicht gelte. Nach dieser Bestimmung ist dieses Übereinkommen nicht anwendbar auf die Schiedsgerichtsbarkeit. [9] Das Beschwerdegericht hat gemeint, der Begriff der Schiedsgerichtsbarkeit sei weit auszulegen; darunter fielen auch Gerichtsentscheidungen, die Schiedssprüche in sich einschlössen. Dies sei hier der Fall, weil das Urteil des Rotterdamer Gerichts das Endurteil des Schiedsgerichts vom 1. Oktober 1993 in sich mit aufnehme. Dies ergebe sich sowohl aus dem Tenor dieser Entscheidung wie auch aus den Entscheidungsgründen. Diese Beurteilung hält rechtlicher Prüfung nicht stand. [10] a) Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts. Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 EuGVÜ ist - nicht anders als nunmehr Art. 1 Abs. 2 Buchst. d EuGVVO - weit auszulegen. Von der Ausnahmeregelung werden alle staatsgerichtlichen Verfahren erfasst, die einem Schiedsverfahren dienen, ein Schiedsgericht unterstützen oder seine Funktionsfähigkeit herstellen sollen. So greift die Ausnahme ein, wenn Gegenstand des Rechtsstreits die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Schiedsvertrages ist, wenn ein Schiedsurteil für vollstreckbar erklärt oder wenn es aufgehoben werden soll (vgl. Thomas/Putzo/ Hüßtege, ZPO 29. Aufl. Art. 1 EuGVVO Rn. 9; Zöller/Geimer, ZPO 27. Aufl. Art. 1 EuGVVO Rn. 43; mit kritischer Bewertung Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl. Art. 1 Rn. 23; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht 8. Aufl. Art. 1 Rn. 41 ff; Rauscher/Mankowski, Europäisches Zivilprozessrecht 2. Aufl. Art. 1 Brüssel I-VO Rn. 27 ff; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht 2. Aufl. Art. 1 Rn. 150 ff). [11] Das EuGVÜ ist insbesondere dann nicht anwendbar, wenn Schiedsrichter ernannt oder abberufen werden sollen, selbst wenn das Bestehen oder die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung nur eine Vorfrage des Rechtsstreits ist (EuGH, Urt. v. 25. Juli 1991 Rs. C 190/89, NJW 1993, 189, 190). [12] Zum Umfang des Ausschlusses der Schiedsgerichtsbarkeit gibt der Bericht Schlosser folgende Erläuterungen: "Das EuGVÜ bezieht sich nicht auf gerichtliche Verfahren, die einem Schiedsverfahren dienen sollen, wie etwa Verfahren zur Ernennung oder Abberufung von Schiedsrichtern .... Dieses (gemeint: das EuGVÜ) bezieht sich auch nicht auf Verfahren und Entscheidungen über Anträge auf Aufhebung, Änderung, Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen. Das gilt auch für Gerichtsentscheidungen, die Schiedssprüche in sich inkorporieren. ..." (Schlosser Bericht Nr. 64 und 65; abgedruckt Amtsblatt Europäische Gemeinschaften 1979 Nr. C 59 S. 71, 93; hierauf Bezug nehmend auch EuGH, Urt. v. 17. November 1998 Rs C 391/95, EuZW 1999, 413, 415 Rn. 32). [13] b) Bei dem Urteil des Rotterdamer Gerichts handelt es sich entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts aber nicht um ein Urteil, das das Urteil eines Schiedsgerichts in diesem Sinne unterstützte, seinen Inhalt für vollstreckbar erklärte oder das Schiedsurteil seinem Inhalt nach inkorporierte. Das Urteil lässt das von ihm in Bezug genommene Schiedsurteil völlig unberührt. Es leitet vielmehr aus dem den Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien zugrunde liegenden Vertrag eine Verpflichtung der Antragsgegnerin ab, auf erstes Ersuchen der Antragstellerin Sicherheitsleistung für ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erbringen (Urteil Nr. 4.2.1 Abs. 3). Die vom Schiedsgericht ausgesprochene Verpflichtung wird weder auf Richtigkeit überprüft noch in das Urteil einbezogen. Lediglich im Hinblick auf den Umstand, dass die Zahlung der Antragsgegnerin bisher ausgeblieben ist und eine Vollstreckung des Schiedsspruchs in Deutschland möglicherweise noch viele Jahre dauern könne, wurde die Erbringung einer Sicherheitsleistung in einem summarischen Verfahren angeordnet. [14] Die Entscheidung des Schiedsurteils soll mit dem hier in Frage stehenden Urteil des Rotterdamer Gerichts weder vollstreckt noch für vollstreckbar erklärt werden. Auch gründet das Urteil den zu sichernden Anspruch nicht auf die Unanfechtbarkeit jenes Schiedsspruchs. Dieser wird vielmehr nur in Bezug genommen zur näheren Bezeichnung der materiellen Forderung, für die Sicherheit geleistet werden soll. Der Anspruch auf Sicherheitsleistung wird selbständig aus dem zugrunde liegenden Vertrag abgeleitet. [15] c) Von der Regelung des Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 EuGVÜ werden nicht erfasst einstweilige Maßnahmen, die lediglich der Sicherung eines Anspruchs dienen, nicht aber der Durchführung des Schiedsverfahrens oder der Vollstreckung des Schiedsurteils (Thomas/Putzo/Hüßtege, aaO Art. 1 Rn. 9 a.E.; Zöller/Geimer, aaO Art. 1 EuGVVO Rn. 45 a.E.; Geimer in Geimer/Schütze, aaO Art. 1 Rn. 164; Rauscher/Mankowski, aaO Art. 1 Brüssel I-VO Rn. 28b; OLG München - 25 W 1067/00, OLG-Report 2000, 266, 267). [16] Dies ergibt sich entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts insbesondere auch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 17. November 1998 (aaO S. 415; vgl. auch Urt. v. 27. April 1999 - Rs C 99/96, EuZW 1999, 727, 729 f). Danach sind einstweilige Maßnahmen grundsätzlich nicht auf die Durchführung eines Schiedsverfahrens gerichtet; sie werden vielmehr parallel zu einem solchen Verfahren angeordnet. Gegenstand einer solchen Maßnahme ist nicht die Schiedsgerichtsbarkeit, sondern die Sicherung der Ansprüche. Daher bestimmt sich die Anwendung des Übereinkommens auf eine einstweilige Maßnahme nicht nach deren Rechtsnatur, sondern nach derjenigen der durch sie gesicherten Ansprüche (vgl. auch OLG München aaO). [17] Bei den gesicherten Ansprüchen handelt es sich um zivilgerichtliche Ansprüche nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVÜ. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts geht es nicht um die Sicherung des Anspruchs aus einem bereits unanfechtbar gewordenen Schiedsspruch, sondern um die Sicherung der Durchsetzung des materiell-rechtlichen Anspruchs, der daneben allerdings Gegenstand des schiedsgerichtlichen Verfahrens war. Auf die Vollstreckbarerklärung und Klauselerteilung ist deshalb das Übereinkommen anwendbar. [18] 3. Da das Beschwerdegericht die Anwendbarkeit des EuGVÜ zu Unrecht verneint hat, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Das Beschwerdegericht wird nunmehr zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für eine Vollstreckbarerklärung nach dem Übereinkommen vorliegen. | |||||
Summary | |||||
Federal Court of Justice (BGH), Decision of 5 Feb. 2009 - IX ZB 89/06 Enforcement of interim measure by foreign court granting security for judgment debt R u l i n g: The EEX (resp. Council Reg. (EC) 44/2001) applies to provisional measures securing the performance of substantive legal obligations, granted by state courts, even if the decision on the existence or validity of such obligations is to be taken in an arbitration. F a c t s: By judgment of 4 October 2001 a Dutch court (Arrondissementsrechtbank te Rotterdam) ordered Defendant - by means of a provisional measure - to provide security to Applicant for a claim granted by an arbitral tribunal in an arbitral award dated 1 October 1993. Defendant was ordered to provide a bank guarantee to the amount of hfl 730,211.52, being the amount of the judgment claim. Applicant sought enforcement of the judgment in Germany and applied to the Regional Court (LG) Munich II for a certificate of execution. The Regional Court granted the application pursuant to the European Convention on Jurisdiction and the Enforcement of Judgments in Civil and Commercial Matters (EEX). Upon complaint by Defendant, the Higher Regional Court (OLG) Munich set aside the decision granting the certificate of execution on the basis that the judgment was a court decision incorporating an arbitral award. Thus the EEX, which exempted arbitration from the scope of the Convention (Art. 1 sub. 2 No. 4 EEX), was not applicable. G r o u n d s: Upon legal complaint by Applicant to the Federal Court of Justice (pursuant to Sec. 15, 16 Recognition and Enforcement of Foreign Judgments Implementation Act - AVAG), the Federal Court of Justice set aside the decision of the Higher Regional Court Munich. The Federal Court of Justice confirmed that since the judgment of the Rotterdam court was rendered on 4 October 2001, the matter was to be decided pursuant to the EEX and not pursuant to Council Regulation (EC) No 44/2001 of 22 December 2000 on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (Council Reg (EC) 44/2001), which only came into force on 1 March 2002 (Art. 66, 68 Council Reg. 44/2201). The Federal Court of Justice held that the judgment by the Dutch court did not fall within the exemption of Art. 1 sub. 2 No. 4 EEX and was therefore covered by the enforcement procedure of the EEX. In principle, the exemption of arbitration was to be interpreted extensively to include all state court decisions intended to serve arbitral proceedings, to support an arbitral tribunal or to reinstate its functionality. Thus the exemption applies if the subject-matter of a dispute is the validity of an arbitration agreement, or if an arbitral award is to be declared enforceable or set aside. The EEX is in particular not applicable if the nomination or dismissal of an arbitrator, even if the existence or validity is only a preliminary issue of the dispute (ECJ, Judgment of 25 July 1991, C 190/89 - Marc Rich & Co. AG v Società Italiana Impianti PA.). The Federal Court of Justice found that the Dutch judgment in the present case did not fall within the category of a judgment ancillary to an arbitral award or declaring or incorporating the content of an arbitral award. It did not affect the arbitral award, but was rather based on the contractual relations of the parties to provide security for the performance of their obligations under the arbitral award. The judgment was also not based on the non-appealability of the award. Thus the court held that provisional measures, such as the present one, securing claims without aiming to ensure the conduct of an arbitration or the enforcement of an arbitral award, were not covered by the arbitration exemption contained in Art. 1 sub. 2 No. 4 EEX. This followed from the ECJ Judgment of 17 Nov. 1998. Pursuant to this judgment, provisional measures in principle were not aimed to ensure the conduct of an arbitration, rather they are granted parallel to arbitral proceedings. Accordingly, the application of the EEX to provisional measures was not determined by their nature, but by the claim they seek to secure. In the present case, the claim secured by the provisional measure was a civil matter within the meaning of Art. 1 sub. 1 EEX. It did not serve to secure a claim arising out of a non-appealable arbitral award, but to secure a substantive claim which was at the same time the subject of an arbitration. As such it fell within the scope of the EEX and the matter was referred back to the Higher Regional Court (OLG) Munich to establish if the conditions for granting the application for a certificate of execution were met. |