III ZB 37/12


Gericht BGH Aktenzeichen III ZB 37/12 Datum 19.09.2013
Leitsatz
Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen einen Zwischenentscheid, mit dem sich ein Schiedsgericht für zuständig erklärt, entfällt, wenn vor der Entscheidung des staatlichen Gerichts ein Schiedsspruch in der Hauptsache erlassen wird.
RechtsvorschriftenZPO § 1040 Abs. 3 Satz 2
Fundstelle
Aktenzeichen der VorinstanzOLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 10.05.2012 - 26 SchH 11/10
StichworteAntrag auf gerichtliche Entscheidung über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts
Volltext
B E S C H L U S S
Die Verfahrensbeteiligten werden darauf hingewiesen, dass nach Auffassung des Senats das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Zwischenentscheid des Schiedsgerichts über seine Zuständigkeit vom 26. Oktober 2010 mit Erlass des Schiedsspruchs vom 7. Dezember 2012 entfallen ist.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt die gerichtliche Entscheidung über die Zuständigkeit des von der Antragsgegnerin angerufenen Schiedsgerichts, nachdem dieses in einem Zwischenentscheid seine Zuständigkeit bejaht hat. In dem Schiedsverfahren macht die Antragsgegnerin Schadensersatzansprüche aus dem 1991 geschlossenen und am 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Abkommen über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Investitionen geltend. Die Antragstellerin trat als Rechtsnachfolgerin der T am 1. Januar 1993 in die Rechte und Pflichten aus dem bilateralen Investitionsschutzvertrag ("Bilateral Investment Treaty", nachfolgend BIT) ein. Mit Wirkung zum 1. Mai 2004 wurde sie Mitglied der Europäischen Union.
Die Antragsgegnerin ist eine niederländische Versicherungsgruppe. Nach einer Gesundheitsreform war es ausländischen Investoren möglich, in dem Markt der Antragstellerin private Krankenversicherungen anzubieten. Die Antragsgegnerin wurde als Krankenversicherer dort zugelassen und begann, in diesen Markt zu investieren. Nach einem Regierungswechsel im Jahre 2006 wurden im Zuge einer Umkehrung der Liberalisierung des Krankenversicherungsmarkts die Rechte der privaten Krankenversicherer beschnitten. Die Antragsgegnerin macht geltend, ihr sei hierdurch ein Schaden in zweistelliger Millionenhöhe entstanden.
Sie leitete deshalb im Oktober 2008 ein Schiedsverfahren gegen die Antragstellerin ein, um umfassenden Schadensersatz zu erlangen. Sie berief sich zur Begründung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts auf Art. 8 Abs. 2 BIT. Art. 8 BIT lautet auszugsweise wie folgt:
"1) Alle Streitigkeiten zwischen einer Vertragspartei und einem Investor der anderen Vertragspartei bezüglich einer Investition der letzteren sind, falls möglich, gütlich beizulegen.
2) Jede Vertragspartei stimmt hiermit zu, dass eine in Absatz (1) dieses Artikels genannte Streitigkeit einem Schiedsgericht vorgetragen wird, falls die Streitigkeit innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten ab dem Datum, an dem eine Partei der Streitigkeit die gütliche Beilegung gewünscht hat, nicht gütlich beigelegt ist.
3) Das in Absatz (2) dieses Artikels genannte Schiedsgericht wird für jeden einzelnen Fall in der folgenden Weise gebildet: Jede Partei der Streitigkeit ernennt ein Mitglied des Schiedsgerichts und die beiden derartig ernannten Mitglieder wählen einen Angehörigen eines Drittstaates als Vorsitzenden des Schiedsgerichts. …"
Entsprechend dieser Regelung konstituierte sich ein Dreierschiedsgericht. Die Parteien vereinbarten als Ort des Schiedsverfahrens Frankfurt am Main. Die Antragstellerin erhob in dem Schiedsverfahren bereits in der Klageerwiderung die Rüge der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts und berief sich darauf, dass das Abkommen mit ihrem Beitritt zur Europäischen Union unanwendbar geworden sei. Insbesondere das in Art. 8 Abs. 2 BIT enthaltene Angebot, Streitigkeiten vor dem Schiedsgericht zu klären, sei wegen des Vorrangs der in Art. 344 AEUV vorgesehenen ausschließlichen gerichtlichen Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht mehr gültig.
Das Schiedsgericht erließ am 26. Oktober 2010 einen Zwischenentscheid, in dem es die Rüge der Antragstellerin als unbegründet zurückwies und seine Zuständigkeit bejahte.
Die Antragstellerin hat beim Oberlandesgericht nach § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen diesen Zwischenentscheid gestellt. Das Oberlandesgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin. Ungeachtet des auf die Aufhebung des Zwischenentscheids gerichteten laufenden gerichtlichen Verfahrens hat das Schiedsgericht das Schiedsverfahren fortgeführt und die Antragstellerin mit Schiedsspruch vom 7. Dezember 2012 unter anderem zur Zahlung von 22.100.000 € zuzüglich Zinsen und Kosten verpflichtet. Gegen diesen Schiedsspruch hat die Antragstellerin wiederum einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 1059 Abs. 1 ZPO) beim Oberlandesgericht gestellt.
II.
Aufgrund des in der Hauptsache ergangenen abschließenden Schiedsspruchs vom 7. Dezember 2012 dürfte der gemäß § 1040 Abs. 3 ZPO gestellte Antrag der schiedsbeklagten Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung gegen den Zwischenentscheid des Schiedsgerichts vom 26. Oktober 2010 unzulässig geworden sein. Mit Erlass des Schiedsspruchs über die Hauptsache ist nach Ansicht des Senats das Rechtsschutzbedürfnis für den gegen den Zwischenentscheid über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung entfallen. Der Senat schließt sich insofern der in der Literatur überwiegenden Auffassung an (Haas, FS für Rechberger, S. 187, 202; Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl., Rn. 748 f; Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl., § 1040 Rn. 15; siehe auch Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 22. Aufl., § 1040 Rn. 12). Eine Gegenansicht wird zwar nicht ausdrücklich formuliert. Auf ihr beruht aber offensichtlich die Auffassung, ein vor Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des staatlichen Gerichts im Zwischenstreit über die Zuständigkeit ergehender Schiedsspruch in der Hauptsache sei nichtig, jedenfalls aber aufhebbar, wenn das staatliche Gericht die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts ausspricht (Musielak/Voit, ZPO, 10. Aufl., § 1040 Rn. 12 unter Bezugnahme auf § 1032 Rn. 15; Hk-ZPO/Saenger, 5. Aufl., § 1032Rn. 11; so wohl auch Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 30. Aufl., § 1032 Rn. 5). Dem liegt ersichtlich die Vorstellung zugrunde, dass das Verfahren nach § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO auch dann fortzuführen ist, wenn zwischenzeitlich ein Schiedsspruch über die Hauptsache ergangen ist. Dies überzeugt allerdings nicht.
Dass ein Schiedsspruch zur Hauptsache nichtig wird oder ist, wenn das staatliche Gericht später in einem Verfahren nach § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts feststellt, sieht das Gesetz nicht vor (Lachmann aaO Rn. 749). Dies wäre auch mit den Belangen der Rechtssicherheit und der Systematik des 10. Buchs der Zivilprozessordnung unvereinbar. Danach ist es vielmehr erforderlich, dass auch ein das Verfahren nach § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO "überholender" Schiedsspruch über die Hauptsache gesondert nach § 1059 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO aufgehoben wird, wenn er mangels Zuständigkeit des Schiedsgerichts nicht hätte ergehen dürfen (Lachmann aaO). Die Entscheidung des staatlichen Gerichts im Zuständigkeitsstreit nach     § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO kann sich ihrem Gegenstand nach nur auf den Zwischenentscheid des Schiedsgerichts beziehen. Eine Feststellung, dass ein inzwischen in der Hauptsache ergangener Schiedsspruch wegen Unzuständigkeit des Schiedsgerichts nichtig ist, kann in diesem Verfahren ebenso wenig ausgesprochen werden wie eine Aufhebung des Schiedsspruchs. Das Gesetz sieht solche, den Gegenstand des Zwischenstreits erweiternde Entscheidungen in diesem Verfahren nicht vor. Unterbliebe auch die Aufhebung des Schiedsspruchs über die Hauptsache nach § 1059 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO, wäre dessen von der Mindermeinung in erster Linie befürwortete Unwirksamkeit nur als rechtliche Schlussfolgerung aus der negativen Entscheidung des staatlichen Gerichts über den Zwischenentscheid des Schiedsgerichts zur Zuständigkeit ableitbar. Dies aber wäre im Hinblick auf den urteilsgleichen Charakter eines Schiedsspruchs (vgl. § 1055 ZPO), dessen Vollstreckbarerklärung (§ 1060 Abs. 1 ZPO) nur unter den engen Voraussetzungen des § 1060 Abs. 2 ZPO abgelehnt werden kann, mit den Belangen der Rechtssicherheit und -klarheit unvereinbar. Diese erfordern vielmehr die ausdrückliche Aufhebung des Spruchs eines unzuständigen Schiedsgerichts. Dies gilt zumal in ausländischen Verfahren auf Vollstreckbarkeitserklärung eines deutschen Schiedsspruchs, in denen die Fernwirkung einer Entscheidung nach § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO auf den Schiedsspruch kaum vermittelbar wäre (Lachmann aaO).
Hinzu tritt, dass ohne ein Verfahren nach § 1059 ZPO die ebenfalls der Rechtssicherheit und -klarheit dienende Regelung der Fristen, innerhalb deren gemäß § 1059 Abs. 3 ZPO (siehe auch § 1060 Abs. 2 Satz 3 ZPO) der Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs beim staatlichen Gericht zu stellen ist, unterlaufen würde. Dieser Gesichtspunkt steht auch der von der Mindermeinung hilfsweise erwogenen Alternative entgegen. Danach soll im Anschluss an eine - ungeachtet des "überholenden" Schiedsspruchs in der Hauptsache - die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts aussprechende Entscheidung im Verfahren nach § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO jedenfalls ein Aufhebungsverfahren stattfinden (Musielak/Voit aaO). Dann aber würde § 1059 Abs. 3 ZPO unterlaufen, wenn das Verfahren des staatlichen Gerichts über den Zwischenentscheid zur Zuständigkeit nicht vor Ablauf der darin bestimmten Fristen abgeschlossen werden kann (vgl. auch Haas und Schlosser jew. aaO), was vielfach der Fall sein wird.
Hiernach ist gegenüber einem in der Hauptsache ergangenen Schiedsspruch ein innerhalb der nach § 1059 Abs. 3 ZPO maßgeblichen Frist einzuleitendes Aufhebungsverfahren gemäß § 1059 ZPO, in dem die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts geltend zu machen ist (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), auch dann erforderlich, wenn bereits ein Verfahren nach § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO durchgeführt wird, aber noch nicht abgeschlossen ist. Dann aber wären in beiden Verfahren dieselben Fragen zur Zuständigkeit zu klären. Das Aufhebungsverfahren nach § 1059 ZPO betrifft hierbei den Schiedsspruch zur Hauptsache und hat damit im Unterschied zum Verfahren über den Zwischenentscheid gemäß § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO den umfassenderen, den inhaltlichen Kern des Streits ausmachenden Gegenstand. Damit besteht für das Zwischenverfahren kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Dies gilt im Übrigen auch und erst recht in dem - hier allerdings nicht vorliegenden - Fall, dass ein Aufhebungsantrag nicht innerhalb der Fristen des § 1059 Abs. 3 ZPO gestellt wird. Dann bleibt der Schiedsspruch unabhängig von dem Ausgang des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens über den Zwischenentscheid bestehen, so dass dieses obsolet wird.
Durchgreifende verfahrensökonomische Bedenken gegen diese Lösung des Zusammentreffens eines Schiedsspruchs über die Hauptsache und eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens über einen Zwischenentscheid nach § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO bestehen nicht. Auch wenn das Rechtsschutzbedürfnis für dieses Verfahren entfällt, können das Parteivorbringen und die dort gewonnenen Erkenntnisse in dem Aufhebungsverfahren gemäß § 1059 ZPO verwertet werden. Richtig ist allerdings, dass die auf das Verfahren über den Zwischenentscheid aufgewandten Mühen der Beteiligten teilweise entwertet werden, wenn dieses, wie in der vorliegenden Verfahrenskonstellation, zum Zeitpunkt des Erlasses des Schiedsspruchs zur Hauptsache bereits die Rechtsbeschwerdeinstanz erreicht hat. Dies ist aber unter Berücksichtigung des Gewichts der erörterten systematischen Gesichtspunkte und der Belange der Rechtssicherheit und -klarheit hinzunehmen.
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