26 Sch 1/14


Gericht OLG Frankfurt am Main Aktenzeichen 26 Sch 1/14 Datum 05.06.2014
Leitsatz
Ohne amtlichen Leitsatz.
RechtsvorschriftenZPO §§ 1059 Abs 1 Nr. 1 lit d), 1059 Abs 2 Nr. 2 lit b), 308 Abs 1
FundstelleopenJur 2019, 37350
Aktenzeichen der Vorinstanz
StichworteAufhebung eines Schiedsspruchs; Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public; Entscheidungsbefugnis eines Gerichts; Aliud-Entscheidung
Volltext
BESCHLUSS
Tenor:
Auf den Antrag der Antragsteller wird der am 16.09.2013 im Schiedsverfahren zwischen den Parteien erlassene Schiedsspruch aufgehoben.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Beschluss ist vorläufig vollstreckbar.
Der Gegenstandswert des Verfahrens wird auf bis zu € 1,3 Mio. festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um wechselseitige Ansprüche aus einer „Aktionärs- und Optionsvereinbarung" vom 06.10.2007.
Die beiden Schiedskläger und hiesigen Antragsteller waren die größten Einzelaktionäre und zugleich Vorstände der „C. AG" mit Sitz in Krefeld (nachfolgend "die Gesellschaft") Das Grundkapital dieser Gesellschaft betrug € 232.735,44 und war in insgesamt 91.006 Stück vinkulierte, auf den Namen lautende Stammaktien ohne Nennbetrag eingeteilt.
Der Antragsteller zu 1) hielt 14.613 und der Antragsteller zu 2) 14.387 dieser Aktien.
Etwa Mitte 2007 kamen die Parteien sowie weitere Aktionäre der Gesellschaft überein, dass die Antragsgegnerin die Aktien der Gesellschaft übernehmen sollte. Hierzu wurde ein Übernahmemodell erarbeitet, dass die schrittweise Übernahme aller Aktien in vier Stufen vorsah; auf dieser Basis wurde sodann die Aktionärs- und Optionsvereinbarung vom 06.10.2007 abgeschlossen, die unter anderem bestimmte, durch die Antragsteller abgegebene Garantieerklärungen bezüglich der Jahresabschlüsse der Gesellschaft beinhaltet.
Zugleich enthält der Vertrag in § 13 Nr. 7 eine Schiedsklausel, wonach alle Streitigkeiten, die sich im Zusammenhang mit dem Vertrag oder über seine Gültigkeit ergeben, nach der Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS) unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges endgültig entschieden werden sollen, wobei als Ort des schiedsrichterlichen Verfahrens Frankfurt am Main und die Zahl der Schiedsrichter auf drei festgelegt worden war.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertragsinhalt (Bl. 76 ff. d.A.) Bezug genommen.
Entsprechend der getroffenen Vereinbarungen übernahm die Beklagte in der ersten Stufe zunächst 59.006 Aktien der Gesellschaft. Weitere 3.000 Aktien wurden im Jahr 2009 übernommen, so dass die Beklagte gegenwärtig über 62.006 Aktien verfügt.
In der Folgezeit entstand zwischen den Parteien Streit wegen vermeintlicher Garantieverletzungen durch die Antragsteller; die Antragsgegnerin machte wegen behaupteter unzutreffender Angaben über das Eigenkapital der Gesellschaft Schadensersatzansprüche geltend, mit denen sie gegenüber Kaufpreiszahlungsansprüchen der Antragsteller die Aufrechnung erklärte.
Hintergrund ist ein geänderter Jahresabschluss der Gesellschaft für das Jahr 2006. Während in dem ursprünglichen Jahresabschluss der Gesellschaft zum 31.12.2006 das Eigenkapital der Gesellschaft noch mit € 285.994,66 ausgewiesen war, wurde in einem „Bericht über die Erstellung des geänderten Jahresabschlusses zum 31.12.2006" das Eigenkapital der Gesellschaft mit einem Jahresfehlbetrag von rund € 1,3 Mio. ausgewiesen. Dies beruhte auf einem geänderten Bilanzansatz zu einer von der Gesellschaft entwickelten bzw. vertriebenen Software.
Mitte des Jahres 2009 übte die Antragsgegnerin die nach dem Vertrag auf der 2. Stufe vorgesehenen Call-Option gegenüber den beiden Antragstellern aus (§ 6 Abs. 2 der Aktionärs- und Optionsvereinbarung) und erklärte zugleich gegenüber dem hieraus resultierenden Kaufpreisanspruch der Antragsteller in gleicher Höhe die Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen wegen Garantieverletzungen.
Hierauf erhoben die Antragsteller Anfang 2010 eine Schiedsklage gegenüber der Antragsgegnerin, mit der sie Zahlung des Kaufpreises für die per Call-Option in der zweiten Stufe abgerufenen Aktien Zug-um-Zug gegen Übereignung der entsprechenden Aktien begehrten. Hierbei war und ist zwischen den Parteien unstreitig, dass sich für die betreffenden 10.406 Stück Aktien des Antragstellers zu 1) ein Verkehrswert in Höhe von € 358.486,70 und für die 4.796 Stück Aktien des Antragstellers zu 2) ein Verkehrswert in Höhe von € 165.226,11 ergibt. Die Antragsgegnerin hat im Schiedsverfahren Widerklage erhoben, mit dem Ziel, die Antragsteller zu 1) und zu 2) auf Schadensersatzzahlungen in Höhe von insgesamt € 711.882,86 zu verpflichten.
Hilfsweise hat die Antragsgegnerin Feststellungswiderklage erhoben, mit dem Ziel festzustellen, dass ihr gegenüber den Antragstellern ein über die Klageforderung hinausgehender Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz i.H.v. € 711.882,86 zusteht, ggf. vermindert um Zahlungen aus dem Leistungsantrag.
Das Schiedsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur bilanziellen Bewertung der von der Gesellschaft vertriebenen Software nebst mündlicher Erörterung sowie nach Einvernahme der Prozessbevollmächtigten der beiden Parteien die Schiedsklage abgewiesen und die Antragsteller zugleich zur Übereignung der 10.406 bzw. 4,796 Aktien verurteilt; ferner wurde festgestellt, dass der Schiedsbeklagten gegenüber den Antragstellern ein über die Klageforderung von € 523.712,81 hinausgehender Schadensersatzanspruch bis zur maximalen Höhe von € 711.882,86 zusteht.
Das Schiedsgericht ist dabei davon ausgegangen, dass die geltend gemachten Kaufpreisansprüche der Antragsteller durch Aufrechnung erloschen seien. Gleichwohl bleibe „die von den Schiedsklägern zu erbringende und durch die angebotene Zug-um-Zug-Verurteilung anerkannte Gegenleistung - Übereignung der Aktien - bestehen" und müsse verfahrensrechtlich behandelt werden. Dies geschehe dadurch, dass dieser Teil der Verurteilung als eigenständiger Teil bestehen bleibe und so im Tenor ausgedrückt werde.
In der Sache selbst stelle die in § 4 des Vertrages enthaltene Erklärung, wonach die Gesellschaft zum 31.12.1006 über ein Eigenkapital in Höhe von € 335.884,02 verfüge, ein selbständiges Garantieversprechen ohne jedwede aus dem Vertragstext selbst oder aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu entnehmende Einschränkung dar.
Tatsächlich aber habe gemäß dem überzeugenden Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens zum 31.12.2006 ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag bestanden. Aufgrund dessen stehe der Schiedsbeklagten gemäß § 5 Ziffer 1 der Aktionärs- und Optionsvereinbarung und mit Blick auf die grundsätzlich mögliche, aber im Streitfall unterlassene Naturalrestitution ein Anspruch auf Schadensersatz in Geld zu. Die Höhe des zu leistenden Schadensersatzes sei bei verständiger Auslegung der in § 5 Abs. 2 des Vertrages vereinbarten Haftungsobergrenze auf den Betrag beschränkt, den die Schiedskläger als Gesamtkaufpreis der weiteren Optionstranchen überhaupt verlangen könnten. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schiedsspruchs vom 16.09.2013 (Bl. 24 ff. d.A.) Bezug genommen.
Der Schiedsspruch wurde den Antragstellern am 04.10.2013 zugestellt. Mit Telefaxschreiben vom 02.01.2014, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, haben die Antragsteller die Aufhebung des Schiedsspruchs und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an ein neu zu bildendes Schiedsgericht beantragt.
Die Antragsteller werfen dem Schiedsgericht im Wesentlichen einen Mangel des schiedsrichterlichen Verfahrens (§ 1059 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) ZPO) sowie einen Verstoß gegen den ordre public vor (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO).
So habe das Schiedsgericht die Antragsteller zur Übereignung von Aktien verurteilt, obgleich dies nicht Gegenstand des von der Schiedsbeklagten gestellten Haupt(Widerklage-)antrages gewesen sei. Vielmehr habe die Schiedsbeklagte in erster Linie die Zahlung von Schadensersatz begehrt, weshalb das Schiedsgericht mit der ausgesprochenen Verurteilung zur Übereignung von Aktien gegen das Gebot der Bindung an die Parteianträge verstoßen habe.
Zugleich liege hierin auch ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör, denn das Schiedsgericht habe keinerlei Gelegenheit gegeben, zu der von ihm im Schiedsspruch vertretenen Rechtsauffassung Stellung zu nehmen. Im Weiteren habe das Schiedsgericht der Antragsgegnerin fehlerhaft einen Schadensersatz zugesprochen, obgleich zu deren Lasten überhaupt kein Schaden entstanden sei und hierbei zudem das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot missachtet. Denn tatsächlich habe die Antragsgegnerin erst am 14.01.2008 Eigentum an den Aktien der ersten Stufe erworben und daher habe auch frühestens zu diesem Zeitpunkt ein Schaden entstehen können. Ungeachtet des vertraglich zugesicherten Eigenkapitalbetrages zum Stichtag 31.12.2006 habe der Unternehmenswert der Gesellschaft gemäß einem Gutachten der R. Treuhandgesellschaft per 30.09.2007 über dem Betrag gelegen, den die Antragsgegnerin als Gegenleistung für die Aktien der ersten Stufe gezahlt habe. Die Antragsgegnerin habe damit per 14.01.2008 wertmäßig mehr erhalten, als sie tatsächlich als Gegenleistung erbracht habe.
Aber selbst wenn mit dem Schiedsgericht von einer Garantieverletzung auszugehen wäre, so sei infolge einer Kapitalerhöhung der Gesellschaft im Jahr 2007 das negative Eigenkapital bis auf einen Betrag in Höhe von € 218.109,00 wieder aufgefüllt worden, weshalb allenfalls ein Schadensersatzanspruch der Antragsgegnerin in Höhe von maximal €218.109,00 bestehen könne.
Die Antragsteller beantragen,
den in der Schiedssache der Parteien am 16.09.2013 abgefassten Schiedsspruch aufzuheben
sowie,
den Rechtsstreit an ein neu zu bildendes Schiedsgericht zu verweisen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag der Antragsteller auf Aufhebung des Schiedsspruchs zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Verfahren, insoweit der Schiedsspruch aufgehoben wird, gemäß § 1059 Abs. 4 ZPO an das bestehende Schiedsgericht zurückzuverweisen.
Sie hält den Aufhebungsantrag bereits für verspätet, da er nicht innerhalb der Frist des § 1059 Abs. 3 ZPO eingereicht worden sei.
In der Sache selbst verteidigt sie den angefochtenen Schiedsspruch, da weder eine Gehörsverletzung noch eine sonstige Verletzung des ordre public vorliege. Selbst bei anderer Auffassung komme allenfalls eine Teilaufhebung hinsichtlich der Verurteilung zur Übereignung der Aktien in Betracht, während der Ausspruch zur Widerklage aufrecht erhalten werden müsse.
Schließlich sei für den Fall einer (Teil-)Aufhebung des Schiedsspruchs das Verfahren an das bereits konstituierte Schiedsgericht zurückzuverweisen.
II.
A.
Der Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruchs ist gemäß § 1059 Abs. 1 ZPO grundsätzlich statthaft und gemäß § 1059 Abs. 3 ZPO fristgerecht eingereicht. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Antragsteller ist ihnen der Schiedsspruch am 04.10.2013 zugestellt worden. Durch den zunächst per Fax am 02.01.2014 bei Gericht eingegangenen Aufhebungsantrag wurde die Frist des § 1059 Abs. 3 ZPO gewahrt.
Der angerufene Senat ist auch zur Entscheidung über den Aufhebungsantrag zuständig gemäß § 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO i.V.m. § 1059 ZPO.
B.
Der Aufhebungsantrag ist auch begründet.
Der Schiedsspruch leidet an einem i.S.v. § 1059 Abs. 2 ZPO beachtlichen Verfahrensfehler, da das Schiedsgericht mit der Verurteilung der Antragsteller zur Übereignung der Aktien unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO über die von den Parteien gestellten Klage- bzw. Widerklageanträge hinausgegangen ist. Hierin liegt zugleich ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public. Ein Verstoß gegen den ordre public liegt vor, wenn der Schiedsspruch mit wesentlichen fundamentalen Normen und Rechtsgrundsätzen nicht in Einklang zu bringen ist. Hierunter fallen alle Normen des zwingenden Rechts, welche die Grundlage des staatlichen oder wirtschaftlichen Lebens berühren, sowie die elementaren Gerechtigkeitsvorstellungen. Dies sind insbesondere die Grundrechte und die guten Sitten, alle Grundprinzipien des deutschen Rechts sowie ein Mindeststandard an Verfahrensgerechtigkeit (vgl. grundlegend BGH WM 2009, 573 f.; Zöller-Geimer, ZPO, 30. Auflage 2014, Rdnr. 56, 57 zu § 1059 ZPO m.w.N.). Der Mindeststandard an Verfahrensgerechtigkeit wird vom sog. verfahrensrechtlichen ordre public geschützt, wobei nicht bereits jeder Verstoß gegen Verfahrensvorschriften zugleich eine Verletzung der öffentlichen Ordnung nach sich zieht. Hierzu bedarf es vielmehr eines schwerwiegenden, von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts abweichenden Verfahrensmangels.
Vorliegend weicht der Schiedsspruch vom 16.09.2013 insoweit von zwingenden Regeln staatlicher Prozessführung ab, als die Antragsteller zur Übereignung der Aktien verurteilt wurden, obwohl dies von der Schiedsbeklagten im Rahmen ihres (Haupt-)Widerklageantrages nicht beantragt worden war. Hierbei handelt es sich um eine gemäß § 308 Abs. 1 ZPO unzulässige „Aliud“-Entscheidung, die jedenfalls einen Aufhebungsgrund i.S.v. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO begründet. Dabei kommt es vorliegend nicht entscheidend darauf an, ob der Verstoß gegen das Gebot der Bindung an die Parteianträge auch unter dem Gesichtspunkt des § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) ZPO (Verstoß gegen das schiedsrichterliche Verfahren) maßgeblich ist. Grundsätzlich umfasst diese Vorschrift nur Verfahrensmängel im Sinne des 10. Buches der ZPO oder Abweichungen von zulässigen Vereinbarungen der Parteien, wobei letztere hier nicht ersichtlich sind. Im Übrigen richtet sich das Verfahren vor dem Schiedsgericht - soweit die Parteien keine Regelung getroffen haben - nach den Vorschriften der § 1042 ff. ZPO. Soweit nicht unverzichtbare Grundlagen für ein ordnungsgemäßes Verfahren betroffen sind, kann das Schiedsgericht das Verfahren nach seinem pflichtgemäßen Ermessen bestimmen (Zöller-Geimer, a.a.O., Rdnr. 28 zu § 1042 ZPO).
Die übrigen Vorschriften der ZPO für das Verfahren vor den staatlichen Gerichten gelten nur, wenn die Parteien dies vereinbart haben oder soweit es sich um unverzichtbare Grundlagen für ein ordnungsgemäßes Verfahren handelt (vgl. hierzu OLG München, Beschluss vom 05.10.2009, Az.: 34 Sch 12/09, zitiert nach BeckRS).
Wenngleich nach diesen Grundsätzen § 308 ZPO zwar nicht direkt anwendbar ist, so wird doch allgemein ein Verstoß gegen das schiedsrichterliche Verfahren i.S.v. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) ZPO angenommen, wenn das Schiedsgericht einer Partei mehr zuspricht, als diese beantragt hat (vgl. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Auflage 2005, Kap. 24, Rdnr. 24; Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Auflage 2008, Rdnr. 2297; Zöller-Geimer, a.a.O., Rdnr. 44b zu § 1059 ZPO; MüKo-Münch, ZPO, 4. Auflage 2013, Rdnr. 37 zu § 1059 ZPO, aber keine strenge Bindung; OLG München, a.a.O.).
Demgegenüber hat das OLG Köln in einer jüngeren Entscheidung einen Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO allein unter dem Blickwinkel des verfahrensrechtlichen ordre public gemäß § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO geprüft (OLG Köln, Beschluss vom 28.06.2011, Az.: 19 Sch 11/10, zitiert nach BeckRS).
Ungeachtet der Frage, ob § 308 ZPO zu den unverzichtbaren Grundlagen für ein ordnungsgemäßes Verfahren i.S.v. § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) ZPO gehört oder ob ein Verstoß gegen die Bindung an die Parteianträge allein unter dem Gesichtspunkt des verfahrensrechtlichen ordre public i.S.v. § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO bedeutsam sein kann, handelt es sich bei dem in § 308 Abs. 1 ZPO verankerten Rechtsgrundsatz um einen Bestandteil des grundlegenden zivilprozessualen Prinzips der Dispositionsmaxime, nach der die Entscheidungsbefugnis des Gerichts dem Umfang nach von den Parteien vorgegeben wird (vgl. OLG Köln, a.a.O.). Einem Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO kommt zudem dann besonderes Gewicht zu, wenn er dazu führt, dass den Parteien zu einem abweichend von der Antragstellung zuerkannten Anspruch kein rechtliches Gehör gewährt wird (OLG Frankfurt/Main, Senatsbeschluss vom 27.02.2014, Az.: 26 Sch 16/13).
Nach diesen Grundsätzen gilt im Streitfall folgendes:
Vorliegend hat das Schiedsgericht die Antragsteller im Hauptausspruch zu Ziffer 1) dazu verurteilt, der Antragsgegnerin die per Call-Option abgerufenen Aktien der 2. Stufe zu übereignen, obgleich weder der (Haupt-)Widerklageantrag der Antragsgegner hierauf gerichtet war hoch der Schiedsbeklagten auf der Grundlage der von den Schiedsklägern beantragten Zug-um-Zug-Verurteilung ein solcher Übereignungsanspruch zustand.
Soweit das Schiedsgericht angenommen hat, dass eine Verletzung der Vorschrift des § 308 Abs. 1 ZPO deshalb nicht vorliege, weil die Schiedskläger durch die von ihnen beantragte Zug-um-Zug-Verurteilung inzident die Übereignung der Aktien der 2. Tranche angeboten hätten und daher die Verurteilung zur Übereignung von Aktien dieses „Angebot" nur aufgreife, kann dem nicht gefolgt werden. Denn es ist bereits verfehlt, die beantragte Zug-um-Zug-Leistung als eigenständige Pflicht zur Erbringung der Gegenleistung aufzufassen. Durch eine antragsgemäße Zug-um-Zug-Verurteilung wird dem Beklagten nichts zugesprochen, der Kläger wird nicht zur Erbringung der Gegenleistung verurteilt (vgl. BGH NJW 1992, 1172, 1173). Vielmehr erwächst durch eine Zug-um-Zug-Verurteilung nur die Feststellung der Leistungspflicht des Beklagten in Rechtskraft, nicht die Pflicht des Klägers zur Gegenleistung; die noch ausstehende Gegenleistung gibt dem Beklagten nur eine aufschiebende Einrede, jedoch erwachsen Entscheidungen darüber nie in materielle Rechtskraft (BGH, a.a.O.). Aus diesem Grund kann die Verurteilung zur Übereignung der Aktien - entgegen der vom Schiedsgericht vertretenen Auffassung - nicht auf den (isolierten) Zug-um-Zug-Bestandteil des Klageantrags der Antragsteller im Schiedsverfahren gestützt werden.
Vielmehr liegt bezogen auf die Klageanträge der Parteien eine „aliud"-Verurteilung der Antragsteller vor, denn der Ausspruch des Schiedsgerichts führt dazu, dass der Antragsgegnerin anstelle der beantragten Zahlung ein Anspruch auf Übereignung der Aktien zuerkannt wird. Dies lässt sich indes mit fundamentalen Grundlagen des deutschen Verfahrensrechts nicht vereinbaren.
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Verurteilung zur Übereignung der Aktien gegenüber dem mit der Widerklage begehrten Zahlungsbegehren ein bloßes „Weniger" darstellt.
Denn schon mit Blick auf den Vortrag der Schiedsbeklagten im Schiedsverfahren steht nicht ernsthaft im Zweifel, dass die Schiedsbeklagte ihren Schadensersatzanspruch in der entsprechenden Höhe - unabhängig von einem darüber hinaus bestehenden Anspruch auf Übereignung der Aktien - geltend gemacht hat.
Der somit grundsätzlich anzunehmende Verstoß des Schiedsgerichts gegen § 308 Abs. 1 ZPO wird auch mit Blick auf das gemäß § 1042 Abs. 4 ZPO zu Gunsten des Schiedsgerichts bestehende Verfahrensermessen nicht beseitigt oder entkräftet.
Selbst wenn man keine allzu strenge Bindung des Schiedsgerichts an die Parteianträge annimmt (vgl. MüKo-Münch, a.a.O., Rdnr. 37 zu § 1059 ZPO), so käme eine entsprechende Verurteilung allenfalls nach ausdrücklichem Hinweis des Schiedsgerichts einhergehend mit einer entsprechenden Äußerungsfrist der Parteien in Betracht. Es lässt sich jedoch weder dem Schiedsspruch selbst noch dem Vorbringen der Parteien entnehmen, dass das Schiedsgericht die von ihm vorgenommene „zweckentsprechende" Auslegung der Anträge der Parteien im Schiedsverfahren jemals zuvor erörtert oder auf die von ihm gemäß § 242 BGB beabsichtigte „Lösung" hingewiesen hätte. Der festgestellte Verstoß gegen den Grundsatz der Bindung an die Parteianträge geht daher mit einem Verstoß gegen das rechtliche Gehör einher, der jedenfalls unter dem Blickwinkel des verfahrensrechtlichen ordre public gemäß § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO beachtlich ist. Denn den Antragstellern sind durch diesen Gehörsverstoß jegliche Äußerungs- bzw. Verteidigungsmöglichkeiten gegen den von der beiderseitigen Antragstellung abweichenden Schiedsspruch abgeschnitten worden. So konnten die Antragsteller - unabhängig von etwaigen materiell-rechtlichen Einwänden gegen die Verurteilung - vor allem den prozessualen Verstoß gegen die Bindung an die gestellten Parteianträge nicht geltend machen.
Insoweit stellt sich der Schiedsspruch zugleich als unzulässige Überraschungsentscheidung dar, denn mit der vorgenommenen, an § 242 BGB angelehnten „Lösung dieser ungewöhnlichen Fallkonstellation" musste auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen.
Der Schiedsspruch unterliegt danach insgesamt der Aufhebung nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b) ZPO, ohne dass es weiterer Ausführungen zu den von den Antragstellern im Übrigen gegen den Schiedsspruch erhobenen Einwendungen bedarf.
Eine bloße Teilaufhebung - wie von der Antragsgegnerin gewünscht - scheidet in der vorliegenden Konstellation aus. Sowohl die Zahlungsansprüche der Schiedskläger wie auch die eingeklagten Schadensersatzansprüche der Schiedsbeklagten hängen von der rechtlichen Bewertung einer etwaigen Garantieverletzung sowie ggf. im weiteren von der Art der Berechnung eines möglichen Schadens ab. Damit ist eine Teilurteilsfähigkeit i.S.v. § 301 Abs. 1 ZPO nicht gegeben, sondern es kann über Klage und Widerklage nur einheitlich entschieden werden.
Der Senat sieht auch keine Veranlassung, die Sache an das vormalige Schiedsgericht zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen.
Da die Aufhebung auf einem ordre public Verstoß zu Lasten der Antragsteller beruht, könnte im Falle einer Zurückverweisung an das erkennende Schiedsgericht ein Ablehnungsrecht der vom Verfahrensverstoß betroffenen Partei in Betracht zu ziehen sein (vgl. Zöller-Geimer, a.a.O., Rdnr. 89 zu § 1059 ZPO). Es obliegt vielmehr den Parteien, das Schiedsverfahren ggf. vor einem anderen Schiedsgericht erneut durchzuführen oder eine einvernehmliche Aufhebung der Schiedsvereinbarung mit der Möglichkeit der Durchführung eines Rechtsstreits vor den staatlichen Gerichten in Erwägung zu ziehen.
Die von den Antragstellern beantragte Zurückverweisung der Sache an ein anderes Schiedsgericht kommt unter keinem Gesichtspunkt in Betracht, da den Parteien ihre Rechte bei der Bildung des Schiedsgerichts nicht abgeschnitten werden können (§§ 1034 ff. ZPO). Der betreffende Antrag der Antragsteller ist daher nur als schlichter Widerspruch gegen eine Entscheidung des staatlichen Gerichts nach § 1059 Abs. 4 ZPO zu verstehen (vgl. Müko-ZPO, 4. Auflage 2013, Rdnr. 78 zu § 1059 ZPO). Abschließend bestand keine Veranlassung, dem Antrag der Antragsgegnerin auf Gewährung eines Schriftsatznachlasses zu entsprechen. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wurden keine Gesichtspunkte erörtert, die nicht bereits Gegenstand des schriftsätzlichen Vortrags der Parteien gewesen wären.
Als unterlegene Partei hat die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).
Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 3 ZPO und bemisst sich im Aufhebungsverfahren nach dem vollen Wert des Schiedsspruchs (vgl. Zöller-Herget, a.a.O., Rdnr. 16 zu § 3 ZPO, Stichwort: „Schiedsrichterliches Verfahren"). Ausgehend von der Wertfestsetzung im Schiedsverfahren ist der Gegenstandswert entsprechend auf bis zu € 1,3 Mio. festzusetzen.
 
Summary
The Higher Regional Court of Frankfurt set-aside an arbitral award in accordance with Section 1059 subsec. 2 of the Code of Civil Procedure (ZPO) due to a substantial procedural breach.
The Court found that the arbitral tribunal exceeded its competence and decided upon issues beyond the main claim and counter-claim submissions of the parties. By obliging the claimants (applicants in the case before the Court) to transfer the securities to the respondent, which was not asked for by either of the parties, the arbitral tribunal rendered a so-called “aliud-decision”, which is contrary to Section 308 subsec. 1 ZPO.
According to Section 308 subsec. 1 ZPO, a state court is bound by the parties’ submissions in its authority to decide on the matter. Even thought this provision of ZPO does form part of the German law on arbitration (since it is not included into the 10 Book ZPO), it is nevertheless one of the fundamental procedural principles of German law and thus belongs to the procedural ordre public of Germany.
A violation of German procedural ordre public triggers the application of Section 1059 Subsec. 2 Nr. 2 lit b) ZPO, according to which an award shall be set-aside.